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Verantwortungsbewusste medikamentöse Geburtseinleitung
Medienberichte zu dem Thema haben eine intensive Debatte entfacht. Lesen Sie hier aufklärende Informationen zu diesem Thema „Cytotec in der Geburtshilfe, Fachwissen statt Desinformation“.
Presseartikel und Fernsehberichte zur Geburtseinleitung mit Cytotec (einem Prostagland) sorgen für große Aufregung und Verunsicherung bei allen Beteiligten. Leider finden in diesen Veröffentlichungen im Wesentlichen persönliche Meinungsbilder und Einzelfalldarstellungen Eingang, und weniger differenziertes Fachwissen.
Geburtseinleitungen sind bei über 20 % der Geburten häufige Maßnahmen in der modernen Geburtshilfe. Die Ziele von Geburtseinleitungen sind eine Verbesserung sowohl des mütterlichen als auch des kindlichen Befindens nach der Geburt, Reduzierung kindlicher Risiken, sowie Vermeidung von Kaiserschnittentbindungen zugunsten vaginaler, natürlicher Geburten. Für eine Geburtseinleitung muss eine medizinische Indikation bestehen, die in den meisten Fällen darauf gründet, dass es zum Beispiel nach einem Blasensprung oder auch Überschreitung des Geburtstermins nach einer gewissen Wartezeit nicht zur spontanen und eigenständigen Wehentätigkeit und Geburtsbeginn kommt. Als Alternativen stünden ein grenzenlos zuwartendes Verhalten mit deutlich erhöhtem Risiko für kindliche Schädigungen oder die Durchführung eines Kaiserschnittes zur Wahl.
Jede Geburtseinleitung stellt einen Eingriff dar mit daraus resultierender Veränderung und teilweise auch Erhöhung von potenziellen Geburtsrisiken, die allerdings auch bei einer vollständig natürlichen Geburt gleichermaßen bestehen können. Dies bedeutet, dass die Probleme auch ohne jegliche Geburtseinleitung oder mit zugelassenen Medikamenten eintreten können.
Seit Mitte der 80er-Jahre werden die sogenannten Prostaglandine als Ergänzung der bis dahin zur Verfügung stehenden Verfahren zur Geburtseinleitung eingesetzt. Der Vorteil dieser Prostaglandine ist ihre Wirksamkeit bei sehr unreifen Muttermundsbefunden. Prostaglandine selbst sind natürliche im Körper vorkommende Hormone, welche eine wichtige Rolle auch beim natürlichen und spontanen Wehenbeginn im Rahmen der Muttermundsreifung spielen.
In Deutschland stehen insgesamt sieben Prostaglandinen-Präparate zur Geburtseinleitung zur Verfügung, welche allerdings unterschiedliche Erfolgs- wie auch Risikoraten aufweisen. In fünf Fällen erfolgt die Verabreichung des Prostaglandins durch Einlage in die Scheide bzw. in den Muttermund, was von Frauen oft als unangenehm empfunden wird. Bei einer Methode wird das Prostaglandin in Tablettenform geschluckt, was allgemein eine höhere Akzeptanz bei den betroffenen Frauen hat.
Bezüglich der Prostaglandine zur Geburtseinleitung gibt es eine weltweit umfangreiche Studienlage.
Im Rahmen einer sogenannten Cochrane-Analyse, in der eine Vielzahl der weltweit durchgeführten Studien zusammengefasst werden, finden sich zu dem Misoprostol in der oralen Anwendung in Tablettenform folgende Bewertungen:
1. Niedrigere Kaiserschnittrate als bei den zugelassenen vaginalen Präparaten
2. Geringere Überstimulationen mit daraus resultierend weniger CTG-Komplikationen und Uterusrupturen
3. Gleiche bis größtenteils bessere Effektivität in Bezug auf die Dauer der Geburtseinleitung
4. Höhere mütterliche Akzeptanz
Auf dem Boden dieser weltumfassenden Cochrane-Anlayse besteht von Seiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine klare Empfehlung zum Einsatz von oralem Misoprostol zur Geburtseinleitung und wurde dafür auf die Liste der unverzichtbaren Medikamente gesetzt. Die guten Ergebnisse konnten auch in Deutschland im Rahmen großer Studien unter Beteiligung der deutschlandweit geburtenstärksten Kliniken entsprechend bestätigt werden.
In Skandinavien und Frankreich und seit 2021 in Deutschland ist das Medikament unter anderem Namen (Angusta) zur Geburtseinleitung zugelassen.
Welches Geburtseinleitungsverfahren für welche Frau geeignet ist, muss immer im Einzelfall und individuell entschieden werden unter Berücksichtigung aller Risikofaktoren und persönlicher Wünsche. Hierzu bedarf es einer ausführlichen Aufklärung und gemeinsamen Entscheidung.
Der Einsatz von Medikamenten außerhalb der oftmals relativ engen Zulassungen, der sogenannte „Off Label Use“, ist fester Bestandteil der ärztlichen Therapiefreiheit und stellt eine Bereicherung der therapeutischen Möglichkeiten in vielen Bereichen der Medizin dar.
Vor diesem Hintergrund wirkt die öffentliche Kritik von geburtshilflichen Kollegen am „Off-Label-Use“ geradezu heuchlerisch, wenn man auf der anderen Seite weiß, dass dieselben Kollegen ebenfalls für die Geburtshilfe nicht zugelassene Medikamente zum Beispiel zur medikamentösen Wehenhemmung einsetzen.
Im Evangelischen Krankenhaus wird neben den zugelassenen Präparaten auch Misoprostol seit 2004 mit gutem Erfolg und deutlich weniger Nebenwirkungen eingesetzt. Hierbei handelt es sich aber nicht um das in Verruf geratene Medikament „Cytotec 200mg“, sondern um den Wirkstoff Misoprostol mit nur 25mg Dosierung, wie von der WHO empfohlen.
Im Vorfeld erfolgt eine ausführliche individuelle Beratung und Aufklärung über die verschiedenen Einleitungsmethoden inklusive Aushändigung eines schriftlichen Informationsblattes mit letztendlich auch schriftlicher Einwilligung in Kenntnis des sogenannten Off-Label-Use bei gegebener Indikation.
Wichtig bei jeder Form der Geburtseinleitung ist die strenge Indikationsstellung, richtige Dosierung des gewählten Medikamentes, die Beachtung von Kontraindikationen, eine engmaschige Kontrolle und ein gutes geburtshilfliches Risikomanagement, wie es für jede Geburt selbstverständlich sein sollte. All dies ist in der Geburtshilfe im Evangelischen Krankenhauses sichergestellt und durch die „Gesellschaft für Risikoberatung“ unabhängig zertifiziert.
Weitere Informationen finden Sie auch in dem Fachartikel des Deutschen Ärzteblattes.
Wir hoffen mit diesen Informationen mehr Klarheit in die große Verunsicherung bringen zu können.
Bei Rückfragen sprechen Sie uns gerne persönlich an.
Dr. Hansjörg Augenstein
Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe
Evangelisches Krankenhaus Oldenburg
Christian Goldmann
Pressesprecher
Veröffentlicht am 10. April 2022